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Christiane Bassyouni Mai 2005
Wie konnte es zum Faschismus kommen? Wie entsteht „Rechtsradikalismus“?
Und was hat beides mit „Machtmissbrauch und Gehorsamszwang“ zu tun?
[Link zum Text]
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IST DAS NOCH
DEMOKRATIE ? August 2008
[Link zum Text]
Zitate:
„Jede Untat, an einem Menschen verübt, geht gegen
die Logik des menschlichen Zusammenlebens und ruft Erschütterungen wach,
die sich in unheimlicher, meist unverstandener Weise auswirken. Hier ist
es ein lieblos behandeltes, von seiner Umgebung brutal umhergestoßenes
Kind, das niemand zur Mitarbeit und Menschlichkeit gewonnen hat. Es
wächst zur Rache an der Gesellschaft heran.
Alfred Adler (aus: Psychotherapie und Erziehung, 1982, S. 59)
* Im Dritten Reich ging die
Unterdrückung des (schwachen) Feindes bis zu seiner legalisierten
Destruktion!
Dementsprechend hier Hitlers Idealbild der Jugend, das er verwirklichen
wollte:
"Meine Pädagogik ist hart. Das
Schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine
Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine
gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend
muss das alles sein. Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nichts
Schwaches und Zärtliches an ihr sein ..."
(zit. n. A.
Miller, 1980, S. 169)
*
Die
Angst vor erneuter Entmachtung aber bleibt. Die
Todesangst vor der Unterlegenheit im archaischen Macht/Ohnmacht-Gefälle
schwelt im Unbewussten einer solchen mit den Insignien der Macht
ausgestatteten Persönlichkeit weiter (denken wir auch an die Militärs unter
Preußens Gloria), die den Krieg sucht im Bedürfnis nach endlicher
Entscheidung.
*
Alice Miller
(1980) schreibt in diesem Zusammenhang über die Kindheit Adolf Hitlers:
„Auch für ihn gilt, dass er im Juden
das hilflose Kind, das er selbst einst gewesen ist, in der gleichen Art
misshandelt, wie sein Vater ihn. Und wie der Vater nie genug hatte und
jeden Tag neu prügelte und ihn mit 11 Jahren fast zu Tode schlug, so
hatte auch Adolf Hitler nie genug und schrieb in seinem Testament,
nachdem er sechs Millionen Juden hatte töten lassen, es müssten noch die
Reste des Judentums ausgerottet werden.“ (S. 221)
Und wir
beginnen zu begreifen, was der absolute Gehorsam mit dem Militarismus,
mit der Unmenschlichkeit z.B. des Hitlerregimes zu tun hat – und welche
Methoden zwischenmenschlichen Umgangs seine Entwicklung begründen.
*
Platon über die
Erziehung der Kinder bis zum 3. Lebensjahr:
"So spreche ich denn die
bei uns wenigstens herrschende Meinung aus, dass ...
eine zu strenge und harte Unterwerfung sie durch Erzeugung einer
niedrigen, unfreien und menschenfeindlichen Gesinnung für das
Zusammenleben untauglich mache."
(NOMOI, 791 d 6 - e)
*
Die Autoritätsausübung (der
Eltern) nach dem "altbewährten" Erziehungsmodell der <Gewaltanwendung zum
Zweck des Erlernens von Unterordnung und Gehorsam> ist in unserem Lande
überwiegend noch unbestritten.
Es bestehen aber direkte Zusammenhänge zwischen der autoritären Erziehung,
dem Militarismus, dem Machthunger, dem Wahnsinn des Krieges, wie
beispielsweise im Dritten Reich.
Es wird notwendig, dass wir uns dessen bewusst werden!
Wir sind aber zum
Still-Halten und Still-Schweigen erzogen worden:
Auch wenn wir offensichtliches Unrecht mit ansehen und miterleben - und
sei es gegen uns selbst! - so heißt es nach dem Gehorsam fordernden
Erziehungsmotto: "Nur nichts beanstanden..." ("Ruhe ist die erste
Bürgerpflicht".)
Und doch: wir können
hoffen. Es sind Bewusstseinsprozesse im Gange, die das allgemeine
Verhängnis von Misshandlung und Hass aufdecken. Und das mutige,
versöhnliche Vorgehen von Politikern der Gegenwart, besonders auf
allerhöchster Ebene, im <Mut zur Veränderung>, ist bereits das Resultat
eines Erkenntnisprozesses, nämlich des Bewusstseins, dass der Abbau von
Feindbildern und Waffenarsenalen <mehr Leben verspricht> als das
<konservative Fronten-Konzept> und die Aufrüstung.
Ein konstruktives, Leben
bejahendes therapeutisches - und woran wir arbeiten: zwischenmenschliches
- Vorgehen zur Überwindung unseres Aggressionspotentials ist das Ergebnis
dieser Bewusstwerdungsprozesse.
So sagt THEA BAURIEDL, (1984):
"Feindbilder und Kriege sind für mich nicht Ausdruck eines
durchbrechenden und Befriedigung suchenden Todestriebes, sondern Formen
von zwischenmenschlicher Verklammerung und Vergewaltigung. Sie sind
prinzipiell auflösbar, soweit die Annäherung an den "Feind" und die
gleichzeitige Auflösung von Loyalitätsverpflichtungen gegenüber dem
"Freund" gewagt werden können." (S. 13)
Entscheidend wird sein,
dass wir begreifen, in welcher unausweichlich engen Beziehung das gesamte
Verhaltsspektrum des Erwachsenen zu seinen Erfahrungen mit den Eltern
steht, mit den prägenden Bezugspersonen seiner Kindheit!
*
"Die menschliche
Entwicklung bietet zwei Möglichkeiten, die der Liebe und die der Macht.
Der Weg der Macht, der den meisten Kulturen zugrunde liegt, führt zu
einem Selbst, das die Ideologie des Herrschens widerspiegelt.
Es ist ein Selbst, das auf einem Gespaltensein beruht, nämlich jener
Abspaltung im Selbst, welche Leiden und Hilflosigkeit als eigentliche
Schwäche ablehnt und Macht und Herrschaft als Mittel, Hilflosigkeit zu
verneinen, in der Vordergrund stellt."
Arno Gruen (Aus: Der Verrat am Selbst, 1984, S. 14)
*
Wenn wir - im Dialog mit
anderen - erkennen, was uns unfriedlich, feindselig und kriegerisch
werden lässt, haben wir die Möglichkeit, unsere Einstellung zu uns selbst
und zu anderen zu verändern.
"Es braucht kein "Triebverzicht" und keine "Sublimierung" des
"Todestriebes" angestrebt zu werden, wenn man die lebensgeschichtlichen
Wurzeln einer aggressiven oder gar destruktiven Handlung verstanden hat,
weil sich dann die psychischen Energien von selbst in Kreativität
umwandeln, vorausgesetzt, dass keine erzieherischen Maßnahmen angewendet
wurden", sagte Alice Miller (1980, S. 310)
*
Wenn ich erkenne, warum ich hasse und meine, zerstören zu müssen,
kann mir bewusst werden, dass ich heute nicht mehr in dieser Befeindung
und tödlichen Bedrohung leben muss wie früher, als ich das ausgelieferte
Kind war in einer Welt machtidentifizierter Erwachsener.
Das ist unsere Chance, in einem Frieden zu überleben, der nicht der
Frieden der Friedhofsruhe ist, der von "oben" angeordnet durch
Maschinengewehre gesichert wird, oder der Frieden des "kalten Krieges",
der bei stetig anwachsendem Zerstörungspotential einem Vulkan kurz vor
dem Ausbruch gleicht.
Ich kann erkennen, dass ich mit meiner kriegerischen Haltung das
furchtbare Unrecht, das ich erlitten habe, ständig auf andere übertrage,
es in ihnen verstärke, ihren Hass und ihre eigene Zerstörungsbereitschaft
damit potenziere. Ich kann erkennen, dass ich so dazu beitrage, mir
selbst und den anderen die Hölle zu erhalten, der wir in einer grausamen
Kindheit ausgeliefert waren.
Dass Krieg und Terrorismus aus der ständig wiederholten Kriegs- und
Terrorsituation unserer hilflosen ersten Lebensjahre stammen, kann uns
immer mehr bewusst werden.
Hier hat sich die in der Natur des menschlichen Wesens liegende
Bestimmung zur Bewusstheit ... stärker erwiesen ... Damit wurde ihm
allerdings ein Kreuz auferlegt, nämlich die Qual der Bewusstheit, der
moralische Konflikt und die Ungewissheit des eigenen Denkens. Diese
Aufgabe ist so unerhört schwer, dass, wenn ihre Lösung überhaupt jemals
gelingen soll, sie nur in säkulären Stufen erreicht werden kann, erkauft
durch endlose Leiden und Mühen im Kampf mit all den Mächten, die uns
stets zu dem anscheinend leichteren Wege der Unbewusstheit überreden
wollen.
Carl Gustav Jung
(1951, neu hrsg. 1972. S. 101)
*
Zwischen Zwang und Verweigerung - zwischen
Macht und Mitgefühl
Die psychische Entwicklung der vaterlosen Generation nach dem Krieg
Erstmalig in dieser spektakulären Eindeutigkeit wird hier ausgelebt, was
früher in der erzwungenen Anpassung an machtvolle Vorbilder
innerpsychisch verborgen blieb. Die Generation der "68er" offenbart in
ihrem schweren subjektiven Leiden, ihren Beziehungsschwierigkeiten mit
den Symptomen der Verunsicherung und Selbstbestrafung, in der Sehnsucht
nach Freiheit von Zwang und Unmündigkeit -
den elementaren Kampf des Unterdrückten um Autonomie, den gebliebenen
Konflikt zwischen Macht und Ohnmacht der frühen Lebensjahre.
Die psychische Entwicklung der Nachkriegsgeneration ist- im Gegensatz zu
allen früheren Generationen - überwiegend durch die ungelungene oder
fehlende Identifikation mit einem "gesunden" <machtvollen Vatervorbild>
geprägt und zeigt als auffallende Veränderung gegenüber der Entwicklung
in früheren Generationen bei den Söhnen die Ablehnung von
Machtpositionen.
Das Revolutionäre an dieser Entwicklung ist die "Sehnsucht nach Freiheit"
im "Kampf gegen den Zwang", in einer Haltung der Nicht-Anpassung, der
Verneinung, der Abgrenzung, in der Suche nach glaubwürdigen Vorbildern
und nach neuen zwanglosen Formen des Zusammenlebens;
mit den psychischen
Symptomen einer permanenten tiefen Verunsicherung, mit Selbstzweifeln,
Ängsten, <Zuständen von Verlassenheit, Vereinsamung und Verzweiflung - im
Gefühl schwerer Schuld> - und mit den physischen Symptomen von
(vegetativer) Schwäche im Sinne eines autoaggressiven Phänomens:
Die zerstörerischen Impulse aus dem verinnerlichten Kampf des Kindes
gegen seinen entmachtenden, seine Lebenskraft schwächenden Erzieher
werden gegen das eigene Selbst / den eigenen Körper gerichtet.
Diese Krankheitserscheinungen sind Ausdruck des gebliebenen inneren
Kampfes um Individuation, um Lösung aus der Ohnmacht und Abhängigkeit in
der Beziehung zu einem Mächtigen, der die Loslösung und Entwicklung zu
einem gleichwertigen Du nicht zugelassen hat.
Die psychische Entwicklung der Nachkriegsgeneration ist gekennzeichnet
durch ein gebrochenes Verhältnis zur Macht und ist - im Gegensatz zur
Neurose des autoritären Charakters, zur analen Charakterneurose früherer
Generationen - eine Symptomneurose ("Psychoneurose/Organneurose"), die
ein subjektiv erlebtes Leiden durch den inneren Konflikt zwischen Macht
und Ohnmacht bedeutet!
Der an einer Symptomneurose Leidende spürt und ist sich bewusst, dass an
seinen Gefühlen oder Verhaltensweisen etwas nicht stimmt, er z.B. Ängste
hat, die irreal sind, er in bestimmten Situationen anders handelt als er
will: dass er zu allem "ja" sagt, was andere von ihm verlangen, oder
verstummt, wenn er sprechen soll, oder sich unfähig fühlt, wenn er durch
eine Leistung gefallen möchte und anderes mehr.
Ein Charakteristikum dieser <modernen Neurose> ist die - früher
"undenkbar" gewesene - Freizügigkeit in der Haltung zur Sexualität mit
dem Symptom des häufigen Partnerwechsels. Dem liegt eine extreme
Verunsicherung in der Rollenidentität des eignen Geschlechts zugrunde,
der Rolle des Mannes/der Frau, der Rolle des Vater/der Mutter - mit
Vermeidung und Ablehnung von Nachkommen, in der Angst vor Bindung, die
als "einengende Verantwortung" und Überforderung gefürchtet wird:
Das aktuelle Leid der Neurose der Trennung und Scheidung.
Man kann nicht zu einem wirklichen Frieden gelangen, wenn man seine
Handlungsweise nach der Möglichkeit eines künftigen Konfliktes einrichtet
- besonders da immer klarer wird, dass ein solcher kriegerischer Konflikt
allgemeine Vernichtung bedeuten würde. Der leitende Gedanke allen
politischen Handelns müsste deshalb sein: Was können wir tun, um ein
friedliches, im Rahmen des Möglichen befriedigendes Zusammenleben der
Nationen herbeizuführen? Erstes Problem ist die Beseitigung der
gegenseitigen Furcht und des gegenseitigen Misstrauens ...
Albert Einstein (1934, neu hrsg. 1984, S. 78)
*
Die
Konsequenzen HEUTE
Der Wille zum Frieden- was steht
ihm entgegen?
Wenn wir davon ausgehen,
dass wir alle, die wir der Erziehung zum Gehorsam ausgesetzt waren, in
unterschiedlichem Ausmaß mit der entmachtenden Instanz unserer Kindheit
identifiziert sind, so wird nachvollziehbar, weshalb es bisher so
verhängnisvoll schwierig gewesen ist, die Bedeutung des inneren Feindes -
des internalisierten, früh erlebten Aggressors - für Feindschaft,
Machtkampf, Zerstörung und Krieg zu realisieren.
Die psychische Entwicklung der Nachkriegsgeneration mit ihrer Ablehnung
von Machtpositionen und ihrem elementaren Ringen um Autonomie ermöglicht
es wegen ihres regressiven Charakters erstmalig, die spektakulären,
früher als vorbildlich verkannten Fehlhaltungen und Schädigungen
offenkundig werden zu lassen, die aus dem gewaltsam entmachtenden
Erziehungsstil früherer Generationen resultierten.
Es wird zunehmend erkannt und bewusst, dass für unsere unbewusst
motivierte gefühlsarme, menschenverachtende und destruktive Grundhaltung
ein archaisches, frühes Erfahrungsmuster tödlicher Bedrohung
verantwortlich ist, mit alarmierendem Einfluss auf unser bewusstes
Handeln.
Es ist unsere Chance zu erkennen, was zu verändern ist - in der
Behandlung der Kleinkinder ebenso wie im täglichen Umgang miteinander.
"Wer dieses Buch liest und sehen kann, dass die hier beschriebenen
Kinder später selber Erwachsene waren, der wird sich auch über die
schlimmsten Greueltaten unserer Geschichte nicht mehr wundern. Er wird
die Stellen entdecken, an denen Grausamkeit gesät wurde und dank dieser
Entdeckung Hoffnung schöpfen, dass die Menschheit diesen Grausamkeiten
nicht für immer ausgeliefert bleiben muss, weil wir durch das Aufdecken
der unbewussten Spielregeln der Macht und der Methoden ihrer
Legitimierung tatsächlich in der Lage sind, grundsätzlich etwas zu
verändern."
Alice Miller über "Hört ihr die Kinder weinen" von LLOYD DeMAUSE
(Aus: Am Anfang war Erziehung, 1980, S. 80)
*
Die dem Menschen gerecht werdende Alternative zu "Erziehung zum Gehorsam"
ist die der <Unterstützung>, von LLOYD DeMAUSE als der menschlich
richtige Umgang
mit Kindern beschrieben:
Die Beziehungsform Unterstützung beruht auf der Auffassung, dass das Kind
besser als seine Eltern weiß, was es in jedem Stadium seines Lebens
braucht. Sie bezieht beide Eltern in das Leben des Kindes ein; die Eltern
versuchen, sich in die sich erweiternden und besonderen Bedürfnisse des
Kindes einzufühlen und sie zu erfüllen. Bei dieser Beziehungsform fehlt
jeglicher Versuch der Disziplinierung oder der Formung von
"Gewohnheiten". Die Kinder werden weder geschlagen noch gescholten, und
man entschuldigt sich bei ihnen, wenn sie einmal unter großem Stress
angeschrieen werden. Diese Form verlangt von beiden Eltern ... Zeit,
Energie und Diskussionsbereitschaft, insbesondere während der ersten
sechs Jahre ..."(1977, S. 84 f.)
*
Dieser Einsatz an Geduld und Zuwendung aber wird vollauf belohnt,
weil die Eltern ein entsprechendes Echo erfahren: weil sie die
Lebensfreude und Lebendigkeit, das Glücksgefühl freier Selbstentfaltung
und die Liebe ihrer Kinder als Erwiderung erleben.
Etwa seit 1950 versuchen immer mehr Eltern, ihre Kinder auf diese Weise
zu unterstützen, damit sie zu autonomen, fühlenden, lebensbejahenden und
friedfertigen Menschen werden können.
"Nicht den Dingen, den Menschen muss ich ihren Lauf lassen, und zwar von
der Wiege an. Dann braucht der Mensch die Freiheit, die mit ihm geboren
ist, nicht zu suchen, weil er sie nie verliert",
schreibt HELMUT OSTERMEYER in: "Die Revolution der Vernunft"
(1984, S. 196)
"Den Menschen ihren Lauf lassen", das hieße gegenseitige Rücksichtnahme,
Nachsicht und Geduld zu üben - auch mit dem ganz Andersartigen, dem
Fremdartigen (der als "nicht angepasst" so leicht Ablehnung erfährt), und
sich immer von neuem um Toleranz und Verstehen zu bemühen.
Das heißt aber nicht, zu verkehrten oder lieblosen Verhaltensweisen zu
schweigen.
*
"Autonomie ist derjenige Zustand der Integration, in dem ein Mensch in
voller Übereinstimmung mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen ist.
... In dem Grad, in dem der gesellschaftliche Sozialisierungsprozess aber
Autonomie blockiert, wird dieser Prozess selbst Erzeuger des Bösen, das
er zu verhindern sucht."
ARNO GRUEN
(Aus: Der Verrat am Selbst, 1984, S. 14/10)
*
Treue?
- Zuverlässigkeit? - Zusammenleben?
Wenn wir aus der Sicht des Kindes, das aus der Sexualität - als Ausdruck
innigster körperlicher Nähe seiner Eltern (!) - entstanden ist, auf diese
Eltern schauen, so wird klar, wie sehnlich wir uns als Kind die treue
Dauerbindung unserer sich (und uns!) - entstanden ist, auf diese Eltern
schauen, so wird klar, wie sehnlich wir uns als Kind die treue
Dauerbindung unserer sich (und uns!) liebenden Eltern wünschen, um in
unserer seelischen Ungeschütztheit eine Heimat bei ihnen zu finden bis
zum Abschluss der Pubertät, bis wir uns selbst eine Heimat mit anderen
Menschen suchen können.
Wir brauchen unsere Eltern, um in ihnen glaubwürdige, ohne Unterwerfung
und Gefühlsverlust nachahmenswerte Vorbilder zu haben - als Menschen und
als Mann und Frau!
Eine <seelische Heimat> zu haben bei den Eltern, dazu gehört
Geborgenheit: nämlich die gute Erfahrung, geliebt zu werden - ohne
Selbstaufgabe - auch als ein ganz andersgeartetes, individuelles Wesen!
Diese <heimatgebende Liebe> ist die Voraussetzung zum freiwilligen
Verzicht auf die Rivalität mit den Eltern des gleichen Geschlechts.
Der Weg der <Lösung aus dem Oedipus-Konflikt> kann nur in der
Unabhängigkeit verwirklichter Autonomie gegangen werden - nämlich
freiwillig.
Und das ist unter Erwachsenen ein in kleinen Schritten möglicher, wenn
auch mühsamer Weg, im Erkennen: "Was ich von dir beanspruche, muss ich
auch bereit sein, dir zuzulassen."
So sieht "der Oedipus-Komplex" für ein autonomes Selbst anders aus als
für ein unterdrücktes, in der Symbiose festgehaltenes, "falsches" Selbst.
Üblich ist - bei der "Erziehung": dem Konditionieren zur Anpassung und
Selbstaufgabe - ein chronifizierter dyadischer Konflikt als Basisstörung,
der unsere Ängste, unsere feindseligen, "kriegerischen" Impulse und
vielfältigen Abwehrmechanismen unterhält, die uns krank machen können.
Trotzdem: Das Begreifen dieser frühen Zusammenhänge in unserer Kindheit
zeigt uns den Weg hinaus - aus Zwang, Hass, Angst, Unfrieden und
Zerstörung - und viele von uns sind schon bereit und fähig, ihn zu gehen
...
Es gibt unübersehbar auch ein <Macht des Guten>, des Konstruktiven - der
Lebensbejahung. Und es ist diese, die unsere Erde bisher vor der
Zerstörung bewahrt hat! Denn trotz des früh erlittenen Unrechts - trotz
des eigenen Feind-Introjekts - bleibt in jedem Menschen das elementare
Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Frieden bestehen. Es bleibt
(zumindest im Unbewussten) der Wunsch nach Selbstbestimmung und
Angstfreiheit bestehen - nach Einvernehmen ohne Unterwerfung, nach
Harmonie ohne Selbstaufgabe, nach Einigkeit und Geborgenheit in einer
zwanglosen, liebevollen Beziehung zu seinen wichtigsten Nächsten, zu
denen, und das ist bereits Gegenwart gewordene Realität, auch ein
ehemaliger <Feind> gehören kann.
Die Ansichten Albert Einsteins über Individuum und Frieden - vor über 50
Jahren geäußert - haben hochaktuellen Charakter und sprechen für einen
Geist der Menschlichkeit, der seiner Zeit um Generationen voraus war:
"Als das eigentlich Wertvolle im menschlichen Getriebe empfinde ich ...
das schöpferische und fühlende Individuum, die Persönlichkeit ..." (S.9)
"Letzten Endes beruht jedes friedliche Zusammenleben der Menschen in
erster Linie auf gegenseitigem Vertrauen und erst in zweiter Linie auf
Institutionen wie Gericht und Polizei; dies gilt ebenso für Nationen wie
für Einzelindividuen ..." (1934, hrsg. 1984, S. 78)
Die Forderung nach Umdenken und sich umstellen, das "lebenswichtige
Postulat" unserer Gegenwart, ist der Paradigmenwechsel im Sinne von
<Mitgefühl statt Macht>.
Und Anlass zur Hoffnung ist gegeben in einer Zeit, in der (alte)
politische Feinde das Gespräch miteinander suchen - berechtigte Hoffnung
auf ein Anwachsen Leben erhaltenden Potentials.
Es sind Erkenntnisprozesse im Gange, aus denen heraus Begegnungen <im
Geist der Versöhnungsbereitschaft> möglich werden, die "den Feind" als
einen "Menschen wie du und ich" erleben lassen - mit vertrauten Gefühlen,
mit der gleichen Furcht vor Zerstörung und der Sehnsucht nach
Friedfertigkeit und Freundschaft.
Aus "Erziehung zum Völkermord" Ch. Bassyouni 90/99
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Wenn es möglich wird, in der Gegenwart eines verstehenden, nicht erneut
traumatisierenden anderen Menschen über Erlebnisse, Gedanken und Gefühle
zu sprechen und die nun aus dem Verdrängten heraus krankmachenden
Probleme an unserem eigenen Verhalten und Fühlen zu verstehen, so kann es
gelingen - über die Trauer im Bewusstwerden der unverkraftbar gewesenen
Erfahrungen mit den Mächtigen unserer Kindheit - den "Sprengstoff
unbewussten Hass-Potentials" allmählich zu entschärfen!
"... die Trauer über das einst Geschehene, Irreversible, ist die
Voraussetzung dieses Prozesses.
"... Diese Trauer, wenn in der Analyse mit Hilfe der Übertragung und
Gegenübertragung erlebt, führt zu einer intrapsychischen, strukturellen
Veränderung und nicht nur zu neuen Formen der Interaktion mit
gegenwärtigen Partnern ...
(ALICE MILLER, 1980, S. 310)
Den Sinn psychoanalytischer Therapie sehe ich in dieser den Frieden
fördernden Entwicklungsmöglichkeit. Sie besteht darüber hinaus in jeder
zwischenmenschlichen Beziehung, wenn dass gegenseitige Verständnis im
Dialog angestrebt wird.
Christiane Bassyouni (1990)
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